Mit angewidertem Gesichtsausdruck streifte sich der rothaarige Muskelprotz die Gummihandschuhe über. Er packte die glitschige Pavianleber, legte sie in die Kühlbox und verstaute die Box im Kofferraum seines japanischen Geländewagens. Dann stieg er ein, legt einen Kavaliersstart hin, so dass der Staub auf dem verlassenen Werksgelände bis in den Himmel stieg, und ließ sich vom Navi zur Autobahnauffahrt lotsen.
Längst bereute er es, seinen sauberen Türstehrer-Job aufgegeben und als Organkurier angeheuert zu haben. Doch das finanzielle Angebot eines ehemaligen Drückerkollegen, der jetzt Geschäftsführer der größten deutschen Haustier-Organbank war, hatte er nicht ausschlagen können.
Dass ihm das ständige Hantieren mit Pudelnieren und Papageienmägen einen hartnäckigen Ausschlag im Gesicht bescheren würde, hatte er ja nicht ahnen können. Auch nicht, dass dies seine letzte Kurierfahrt sein sollte.
Kurz vor der Autobahnabfahrt Herne-Baukau beförderte ihn eine im Erste-Hilfe-Kissen versteckte Bombe in den Ganovenhimmel.
Inspektor Treiber waren die Hände gebunden. Von oberster Stelle kam die Order, in diesem Fall nicht weiter zu ermitteln. Dabei war er kurz davor nachzuweisen, dass die Firma »Ein Herz für Tiere« ihren Kunden für teures Geld minderwertige Innereien vom europäischen Schwarzmarkt verkaufte. Häufig stammten die Organe noch nicht einmal von der angegebenen Tierart.
Erst in der letzten Woche war einem Klavierlehrer für seine dialyseabhängige Collie-Hündin die Niere eines Stinktieres angedreht worden. Treiber hatte den Verdacht, dass der arrogante Polizeipräsident, ein Taubenzüchter und international angesehener Tierschützer, irgendwie in diese Sache verwickelt war.
Lausig wusste nichts von der Anweisung, den Fall ad acta zu legen. Er hatte auch keine Ahnung, dass zwischen der »Ein Herz für Tiere GmbH & Co. KG» und dem ungarischen Unternehmen »Pörkölt International« ein blutiger Kampf um Marktanteile entbrannt war.
Ratlos blickte er deshalb jetzt in das bleiche, bereits etwas aufgedunsene Gesicht des Lkw-Fahrers aus Budapest, den Kollegen von der Wasserskipolizei vor einer halbe Stunde aus der Ruhr gezogen hatten. Da ein centgroßes Loch auf der linken Schläfe des Truckers prangte, war für Lausig die Todesursache schnell klar.
»Wahrscheinlich Suizid«, murmelte er und machte sich aus dem Staub, um nicht dem Glatzkopf von der Spurensicherung zu begegnen, einem fettleibigen Witzbold, bei dem er noch Wettschulden hatte.
Der Gerichtsmediziner hatte sein Obduktion fast abgeschlossen, als er von zwei schlanken Männern mit rabenschwarzem Harr und Dschingis-Khan-Bärten in den doppelten Schwitzkasten genommen wurde – eine Übung, die der chronische Asthmatiker nicht überlebte.
Die Eindringliche wollten ihren verstorbenen Kollegen entführen, um ihn in seinem Puszta-Heimatdorf im Kreis der Angehörigen nach alter Hirtentradition feuerzubestatten: in Toilettenpapier eingewickelt und mit dem Gesicht nach unten auf den Rücksitz eines alten 7er BMWs gebettet.
Doch als die Ungarn sahen, wie sehr der Gerichtsmediziner ihren Kumpel mit dem Skalpell verunstaltet hatte, beschlossen sie, ihn lieber in einen gelben Wertstoffsack zu stecken und von einem Lkw der Müllmafia zur letzten Ruhestätte befördern zu lassen.
Lausig spucke den Lollistiel aus und hüstelte nervös. Er wurde den Verdacht nicht los, dass der anonyme Anrufer ihn in eine Falle locken wolle. Der Hintereingang des Brieftaubenmusems war verschlossen, und die Lampe, die den Hinterhof spärlich erleuchtete, soeben erloschen.
Lausig tastete nach seiner Dienstwaffe, zog jedoch nur eine Plastikbanane aus dem Schulterholster. Sein Chef hatte sich wieder einmal einen Spaß erlaubt.
Mit der Bananenattrappe sah Lausig wenig Chancen, sich gegen das dunkle Ungeheuer, das plötzlich knurrend vor ihm auftauchte, erfolgreich zu verteidigen.
Der Rottweiler setzte schon zum Sprung an, da wurde er zurückgepfiffen.
Sekunden später versuchte der kläglich winselnde Hund vergeblich, den Armbrustbolzen, der in die Stirn seines Herrchen eingedrungen war, mit den Zähnen herausziehen. Tief bewegt versuchte Lausig, das Tier mit einem Eukalyptus-Menthol-Bonbon zu trösten.
Inspektor Treiber erfuhr es am nächsten Morgen aus der Zeitung. »Polizeipräsident im Hinterhof ermordet!« Was er nicht erfuhr, war, dass sein Assistent die ganze Nacht einem unangenehmen Verhör ausgesetzt gewesen war.
Ungarische Gangster hatten ihn für einen »Herz für Tiere«-Mitarbeiter gehalten. Nackt, mit ausgekugelten Schultergelenken und Brandwunden auf dem Gesäß hatte ihn eine Rentnerin kurz nach Sonnenaufgang im Sandkasten eines Kinderspielplatzes gefunden und das Stadtreinigungsamt angerufen.
Treiber nahm sich vor, seinen Assistenten am Nachmittag im Krankenhaus zu besuchen. Doch noch hatte er reichlich Zeit, sich seiner momentanen morgendlichen Lieblingsbeschäftigung zu widmen. Er wollte den für zwei Wochen neu angeschafften, hochmodernen Kaffeeautomaten unbedingt so umprogrammieren, dass er Cappuccino ausspuckte, wenn man die Cappuccino-Taste drückte – und nicht Hühnerbrühe .
Über die erneute Erfolglosigkeit seiner Bemühungen tröstete sich Treiber am Mittag in der Polizeikantine mit einer Portion „Frittierte Schweineleber im Sauerkrautbett“ hinweg. Dass ihm die ungarische Aushilfe an der Essensausgabe so komisch angrinste, schrieb er der knallgelben Krawatte zu, die er zum ersten Mal trug.
Den Schlips hatte ihm Großtante Berta aus Radevormwald zum Vatertag geschickt. Dass die gute, schon ziemlich betagte Tante vergessen hatte, dass er kinderlos war, wollte er ihr nicht anlasten.
Aber als Treiber nach dem Essen in der Herrentoilette mühsam versuchte, fettige Sauerkrautfäden von der neuen, zitronenfarben Krawatte so zu entfernen, dass sie möglichst keine Spuren hinterließen, war er froh, dass seine leicht debile Großtante ihm dabei nicht zuschauen konnte.