Der Oberförster fror. Einmal mehr sah er sich vom ZDF-Meteorologen arglistig getäuscht. Der Kolben seines neuen Jagdgewehrs drückte sich schmerzhaft in sein Hohlkreuz. Ehe er die Flinte etwas zurechtrücken konnte, war es schon passiert.
Die passionierte Pilzsammlerin bückte sich, um mit ihrem Messer einer üppige Pfifferling-Population zu Leibe zu rücken, da fiel ihr Blick auf einen außergewöhnlich großen Pilz, der einen dunkelgrünen Hut trug. Es war der Kopf des Oberförsters, fachmännisch von Rumpf getrennt. Die Naturfreundin erbrach sich in die Buschwindröschen.
Es war nicht das erste Mal, dass ein Unbekannter die friedliche Ruhe in Treibers Waldlaufrevier empfindlich gestört hatte. Bereits drei Forstbeamte, zwei Holzfäller und ein Singvogelfallensteller aus Parma, der tragischerweise eine grüne Kappe trug, hatten im gemischten Nutzwald unerwartet den Kopf verloren.
Aus Mitleid mit den nervlich angeschlagenen Rehen, Waldohreulen und Eichkatzen hatte der Inspektor seinem Assistenten aufgetragen, dem Mordbuben möglichst schnell das blutige Handwerk zu legen. Vielleicht ließe sich der Kopfjäger ja überreden, seinen Lebensunterhalt in Zukunft mit Tütenkleben zu verdienen, hatte er Lausig vorgeschlagen. Der versprach sein Möglichstes zu unternehmen – und holte den Sack mit der Holzkohle aus der Garage.
In weniger als einer Stunde hatte Lausig ein neues Zuhause gefunden. Die alte Köhlerhütte im Landsknechtwald ließ ihr morsches Gebälk knacken, als habe sie nur auf seinen Einzug gewartet.
Lausig überließ nichts dem Zufall. Noch vor Anbruch der Morgendämmerung hatten sechs hochmoderne, als Meisenkästen getarnte Überwachungskameras jede Baumhöhle und jedes Mauseloch unter Kontrolle.
Zufrieden schaute Hilfsköhler Lausig auf die Monitorwand, die Mitarbeiter des Landesamtes für Waldhygiene in der Hütte installiert hatten. Er genoss es, Borkenkäfer und Eichelhäher in Full-HD-Qualität bei ihren Liebesspielen beobachten zu können. Nur ab und zu trübte heftiges Niesen sein Vergnügen, denn mit jedem Atemzug inhalierte er einige Kilometer Spinnwebenfäden.
Lausig war gerade damit beschäftigt, eine Minisalami zu skalpieren, als er auf einem der Monitore ein Gesicht entdeckte, das ihm bekannt vorkam.
Er zoomte die unrasierte Visage näher ran. An der typischen Formation der tiefen Stirnfalten erkannte Lausig, dass das Gesicht zu seinem Vorgesetzten gehörte. Treiber hatte wohl Lust auf einen Waldspaziergang bekommen.
Fluchend nestelte der Inspektor an seinem obersten Hemdenknopf. Wie die gesamte Försterkluft, die er trug, war auch die mit Kreuzotternblut gestärkte Jagdbluse mindestens zwei Nummer zu klein. Doch ehe er seine Halsschlagader entlasten konnte, schloss der Inspektor mit den Launen der Schwerkraft Bekanntschaft.
Lausig sah, wie sein Chef vom Erdboden verschluckt wurde. Er entschloss sich, seinen Beobachtungsposten zu verlassen.
Der Inspektor saß in der Falle. Hinter einem Doppelwacholderstrauch, nur wenige Meter von der Fallgrube entfernt, in der Treiber hilflos hockte, die Hände an den dröhnenden Schädel gepresst, lauerte der echte Köhler – mit kahl geschorenem Kopf und einem frisch geschärften Samurai-Schwert in der Hand.
Seit dem Freitod seiner fliegenpilzabhängigen Gattin war der Köhler psychisch angeschlagen und lebte in der Wahnvorstellung, die Bundesagentur für Arbeit schicke ihm als Förster und Jäger getarnte Mitarbeiter, die ihn verschleppen und zu einer Umschulungsmaßnahme zwingen wollten: zum Diätkoch oder Delfintrainer vielleicht, oder – was für ihn noch viel schrecklicher wäre – zum Anlagenberater.
Der Bauchnabel des Inspektors begann zu jucken, was er immer dann tat, wenn Treiber mit einem Aufzug fuhr. Tatsächlich bewegte sich der von Tausendfüßlern, Feuerwanzen und anderem Getier bedeckte Boden, auf dem Treiber immer noch benommen saß, langsam aber stetig nach oben. Dem Inspektor stieg bereits der süßliche Duft von Maiglöckchen in die Nase.
Als der Waldboden-Lift das Erdgeschoss erreichte, wartete dort bereits der Köhler auf den angeschlagenen Passagier. Sein mit japanischem Heilpflanzenöl sorgfältig eingeriebene Schwert glänzte in der Frühlingssonne.
Ein buddhistisches Mönchsgebet murmelnd holte der Köhler zum tödlichen Hieb aus. Doch er hatte nicht mit Lausigs Verschlagenheit gerechnet.
Mit dem magischen Bumerang, den ihm ein freundlicher Aborigine-Häuptling auf der letzten Outback-Safari im Tausch gegen seine damalige Lebensgefährtin überlassen hatte, zielte Lausig auf das Hornissennest, das er in einer alten Trauerweide entdeckt hatte. Das Nest hing an einem Ast, der sich direkt über dem Schwert schwingenden Köhler befand.
Lausig hatte Glück und Pech zugleich. Sein Zauber-Bumerang traf genau – zunächst das Hornissennest und dann, nach einer eleganten Wende, sein Nasenbein.
Der Köhler kämpfte tapfer wie die Glorreichen Sieben, doch gegen die Durchschlagskraft eines kompletten Hornissengeschwaders war er machtlos.
Die Augen bereits zu geschwollen teilte er blind nach allen Seiten wirkungslose Schwerthiebe aus. Dann schwoll dem Samurai auch der Hals zu. Er warf das Handtuch und sank in die Maiglöckchen.
Während der Köhler ein letztes Röcheln von sich gab, verpassten ihm die Hornissen eine finale Injektionssalve.
Treiber hatte sich mühsam aufgerappelt. Er machte ein paar unsichere Schritte – und stieß gegen den leblosen Körper des Köhlers. Als er in das entstellte Gesicht des Hornissenopfers blickte, wurde ihm übel.
Glücklicherweise hatte Treiber nach dem morgendlichen Duschen seinen ganzen Körper mit Blauwal-Öl eingerieben, so dass die immer noch stechwütigen Hornissen ihn verschonten und angewidert das Weite suchten.
Nachdem er sich mit einer Handvoll Vogelbeeren und einem Viertelpfund Waldmeister gestärkt hatte, ging es dem Inspektor wieder besser. Jetzt wollte er sich bei seinem Lebensretter bedanken, der bewusstlos und mit dicker Nase im Gras lag.
Mit dem Zipfel seines seidenen Diensttaschentuchs entfernte Treiber behutsam ein kleines Holzkohlenstückchen aus Lausigs rechtem Auge. Dann holte er seinen tapferen Assistenten mit ein paar kräftigen Ohrfeigen ins bewusste Leben zurück und zog sein Schweizer Taschenmesser aus der Hosentasche, um Lausigs gebrochenes Nasenbein zu richten.