Der Staatssekretär bückte sich nach dem Golfball, der im dichten Morgennebel wie durch ein Wunder sein Ziel erreicht hatte. Doch statt des Balls holte der Glückspilz ein Schafsauge aus dem Loch. Enttäuscht pfiff der Sportsmann nach seinem Caddy.
Schlecht gelaunt hämmerte Lausig seinen Bericht in die Tastatur. Auch die Tasse mit kaltem Glühwein, die ihm sein Vorgesetzter, Inspektor Treiber, gebracht hatte, konnte seine trübe Stimmung nicht aufhellen.
Lausig hatte es satt, in staubtrockenem Beamtendeutsch zu schildern, wie, wo, wann, von wem und warum die dreizehnte Lammleiche gefunden worden war – oder zumindest Teile von ihr.
Ein unbekannter Tierfreund schien sich ein Hobby daraus zu machen, harmlose Lämmer zu kidnappen, sie in Riesling zu ertränken, die Leichen zu tranchieren und die Teile anschließend in freier Natur alle zehn Meter zu deponieren: so als bereite er eine Schnitzeljagd vor und lege eine Fährte. Diesmal begann die blutige Spur auf einem Hundeübungsplatz und endete in einem Karpfenteich.
Wie immer hatte der Täter einen Hinweis auf seine Identität hinterlassen. Diesmal in Form einer Kinokarte für »Das Schweigen der Lämmer«, die mit zwei Heftzwecken auf den morschen Brettern eines Bootsstegs befestigt war.
Inspektor Treiber fand, es sei höchste Zeit, dem Schäfer die Lizenz zu entziehen. Ihm fiel die neu installierte Computer-Software ein, die es angeblich schaffen sollte, aus ein paar dürren Informationen ein solides Täterprofil zu erstellen.
Die Anschaffung der Software hatte der Polizeipsychologin ein neues Betätigungsfeld verschafft: Sie führte jetzt Motivations-Traingskurse für geschiedene Politessen durch.
Treiber startete das Programm, gab ein, was er an spärlichen Infos hatte, löste drei Kreuzworträtsel, während die Software arbeitete, und sah dann endlich ein Ergebnis auf dem Monitor aufleuchten: »Der Täter ist Werbetexter, Nassrasierer, sammelt Telefonhörer und isst gerne Bierdeckel.«
Die neue Software ist einfach genial, dachte der Inspektor, jetzt schnapp ich mir den Kerl! Und ruckzuck wechselte er in den Außendienstmodus.
Ein paar Stunden später verfluchte der Inspektor den Außendienst. Seine Arme schmerzten höllisch. Lange würde er die zehn wohlgenährten Saatkrähen nicht mehr halten können. Doch er wollte seine perfekte Vogelscheuchen-Tarnung nicht vorzeitig aufgeben.
Von seinem Standort aus hatte er die unter Denkmalschutz stehende Telefonzelle gut im Blick. Die Schafe, die das gelbe Häuschen neugierig umringten, blökten nervös.
Treiber sah, wie sich ein Fahrrad auf der staubigen Landstraße gemächlich der Telefonzelle näherte. Im Sattel saß eine blonde junge Dame, die wie eine Stewardess gekleidet war und eine Umhängetasche trug..
Am Gepäckträger des Bikes war ein rosa Luftballon befestigt, der lustig im Wind hin und her schwang. Unter der Befestigungsklammer des Trägers steckte ein länglicher, in Zeitungspapier eingewickelter Gegenstand.
Die Blondine bremste, stieg vom Hollandrad und lehnte es an die Telefonzelle. Sie nahm den Gegenstand vom Gepäckträger, wickelte ein Schlachtermesser aus dem Papier, zog eine große Pralinenschachtel aus ihrer Umhängetasche und näherte sich den schwanzwedelnden Heidschnucken.
Eine plötzliche Windbö löste die Haarpracht der Lady von ihrem Kopf und wehte sie ins Maisfeld – was ein frisch vermähltes Rebhuhnpaar freute, denn es suchte seit Tagen vergeblich nach geeignetem Nistmaterial.
Treiber freute sich ebenfalls, denn er wusste jetzt Bescheid: Die unfreiwillig entblößte Glatze der falschen Lady gehörte nicht Kojak, sondern dem Schäfer.
Der Heidschnuckenkiller summt eine uralte belgische Hirtenmelodie und hielt dem stattlichen Leithammel eine Weinbrandbohne hin. Die falsche Vogelscheuche erwachte aus ihrer Starre.
Treiber schüttelte den verlausten Flickenumhang ab, den Lausigs taubstumme Schwester ihm genäht hatte, und schleuderte dem Bösewicht seinen Stahlkantenzylinder entgegen.
Um Haaresbreite verfehlte die tückische Waffe den unrasierten Hals des Schäfers und fällte dreißig Meter weiter eine einsame Trauerweide.
Die Weide begrub eine Grafikdesign-Studentin unter sich und rettete einer kleinen Waldmeister-Population das Leben. Weil die Studentin erst drei Tage später aus ihrer Bewusstlosigkeit erwachte, fand die traditionelle WG-Frühlingsparty ohne sie statt – und die Feiernden mussten auf eine Maibowle verzichten.
Der Lammschlächter erkannte den Ernst der Situation und rannte zu seinem Fahrrad. Bevor er es erreichte, wurde er von einem gleißend-hellen Lichtstrahl geblendet.
So übersah der Schäfer den Stolperdraht, den ein wütender Landwirt Abend zuvor zwischen zwei jungen Birken gespannt hatte. Der Bauer wollte endlich dem Schelm, der die Kolben seiner Zuckermaispflanzen mit klarem Kunstharzlack einsprühte, das Handwerk legen.
Doch jetzt war der Lämmerripper in die Falle getappt. Er schlug der Läge nach hin, wobei er mit dem Kopf direkt in der Bärenfalle landete, die mit frischen Farnwedeln gut getarnt im Gras lag.
Die Rotfuchsfamilie, deren Eigentumswohnung sich in unmittelbarer Nähe des unglücklich Gestürzten befand, war entrüstet über die Sauerei, die direkt neben dem Haupteingang entstanden war.
Währenddessen steckte der eitle Lausig, der hundert Meter entfernt gut gelaunt auf einem Jäger-Hochsitz hockte, seinen Taschenspiegel weg und biss herzhaft in das mit Truthahnsalami belegte Maismehlbrötchen, das sein Chef seit gestern vermisste.
Dann setzte Lausig das fort, wofür er hier herauf geklettert war: die Beobachtung blutjunger Feldhäsinnen bei derAbendtoilette.
Für den Inspektor war der Fall abgeschlossen – für den Dezernatsleiter auch. Zufrieden belobigte er am nächsten Tag Treiber für die schnelle Aufklärung und das konsequente Vorgehen gegenüber einem abartig veranlagten Vegetarier. Allerdings vergaß er nicht zu bemerken, dass der dienstliche Einsatz von Wolfsfallen eigentlich nicht erlaubt sei.
Treiber erwiderte nur „Alles klar, Chef“ und verzog sich in sein Büro. Bei der Durchsicht der neuesten Meldungen am PC wurde ihm schmerzlich bewusst, dass er den falschen Schäfer erwischt hatte. Denn am späten Abend des gestrigen Tages waren erneut Lämmerteile gefunden worden.
Eine zweiundfünfzigjährige Hausfrau hatte sie entdeckt – auf der Wäscheleine in ihrem Garten – die kleinen Keulen, Köpfe, Bruststücke und alle anderen Teile ganz akkurat in jeweils gleichem Abstand mit bunten Plastik-Wäscheklammern befestigt. Wohin die frisch gewaschenen Hemden ihres Gatten verschwunden war, konnte sie nicht sagen.
Dem Bericht des Gerichtsmediziners, der erstaunlich schnell gearbeitet hatte, entnahm Treiber, dass die armen Tiere diesmal, bevor sie zerlegt wurden, nicht in Riesling-Wein ertränkt worden waren, sondern in Grauburgunder.
Der Pathologe hatte noch vermerkt, der Täter habe höchstwahrscheinlich einen badischen Grauburgunder als Tötungsmittel verwendet, aber das könne er nicht mit absoluter Gewissheit sagen. Geschmacklich und was die Säurewerte angelange sei der Badische dem Pfälzer Grauburgunder sehr ähnlich. Und einen signifikanten Unterschied könnten nur Pathologen mit einer speziellen Zusatzausbildung herausschmecken, eine solche habe ihm sein knauseriger Vorgesetzter bisher leider verwehrt.
Der Inspektor war frustriert und hoffte, sein Chef habe das Interesse an neuen Vorfällen, in den Lämmer eine Rolle spielten, verloren. Treiber nahm sich vor, Lausig mit den weiteren Ermittlungen zu beauftragen.
Lausig sollte außerdem der armen Hausfrau, der man die Hemden von der Leine geklaut hatte, einen Karton Wein bringen.
Treiber wusste, dass im Keller des Polizeipräsidium noch reichlich Wein lagerte, den die Kollegen vom Zoll vor einiger Zeit beschlagnahmt hatten und der von der letzten Halloween-Party noch übrig geblieben war.
Der Inspektor erinnerte sich, dass es sich um Weißwein aus Neuseeland handelte, und er war sich recht sicher, dass die Kiwis keinen Grauburgunder anbauten.