Scooterjagd

 

 

Inspektor Treiber hatte das große Los gezogen: ein rosafarbenes Plastikschwein, das die Zeit ansagte. Mit einem Fluch bedankte er sich bei dem pickligen, minderjährigen Losverkäufer, der ihm grinsend zu seinem Glück gratulierte. 

 

Dreißig Meter weiter schwenkte Assistent Lausig vergnügt eine Flasche Billigsekt, die er sich beim Dosenwerfen redlich verdient hatte.

 

Treiber, der sich in Rudis Weißbier-Stadel bereits mit ein paar Gläsern gestärkt hatte, bereitete es Mühe, seinen Blick vom Dekolleté der blonden Geisterbahn-Kassiererin zu lösen, doch der bucklige Gebrannte-Mandeln-Verkäufer hatte seine Aufmerksamkeit erregt. Der Inspektor erinnerte sich daran, diesem Typen irgendwann schon einmal Handschellen angelegt zu haben.

 

Unverwandt starrte der Kerl ihn jetzt an, ein dreckiges Grinsen im Gesicht. Treiber, dem auf einmal etwas schwindelig war, fand, dass die blauen Augen des Mandelboys überhaupt nicht zu seiner groben Visage passten. 

 

Und doch war er fasziniert von diesen Augen. Sie waren so blau wie die Lagune, in der Brooke Shields tauchte, so blau wie der Himmel an einem strahlend schönen Maitag im Unterallgäu, so blau wie … Doch jetzt waren sie auf einmal braun – und der Bucklige hatte sich in Arnold Schwarzenegger verwandelt.

 

Ein markerschütternder Schrei aus der Geisterbahn rief den Inspektor in die Wirklichkeit zurück. Schlagartig war er wieder nüchtern.

 

Treiber erinnerte sich an seinen Auftrag – und erschrak: Sollte der arbeitslose Wanderprediger, der in dringendem Tatverdacht stand, mindestens elf Klosterschülerinnen mit drogengetränkter Zuckerwatte in den Wahnsinn getrieben zu haben, bereits das Weite gesucht haben?

 

Treiber versuchte sich zu konzentrieren, doch der dröhnende Hiphop-Beat aus den Lautsprecherboxen der Ponybahn lähmte sein Denkvermögen. Dann löste sich ein klarer Gedanke aus seinem Graue-Zellen-Brei: »Der Lümmel muss noch in der Nähe sein.«

 

Unsanft riss der Inspektor Lassie, seinen neuen Polizei-Bassett, aus der Siesta. »Such Lassie«, raunte er ihm ins Ohr, »such, wenn du dir eine Currywurst verdienen willst«. Lassie wollte.

 

Treiber hatte Mühe, seinem tierischen Kollegen zu folgen. An einer stinkenden Backfischbude und einem Softeis-Stand  vorbei hastend landeten die beiden schließlich im Boxzelt der Schlüter-Truppe. 

 

Der Inspektor konnte Lassie nicht davon abhalten, dem lebensmüden Spargeltarzan, der sich vom Champion für viel Geld die Augen blau schlagen ließ, in die rechte Wade zu beißen. Aber es war der falsche Mann.

 

Während die Schlüters versuchten, ihren Kunden von den Zähnen des Hundes zu befreien, folgte Treiber einer plötzlichen Eingebung und trabte zum Auto-Scooter. Den schmierigen Schlaks, der sich hier gerade als Verkehrspolizist aufspielte, hatte er irgendwann schon einmal im Schwitzkasten gehabt.

 

Treiber entdeckte seinen Mann in einem knallroten Scooter mit Hamburger Kennzeichen. Behänd sprang er in ein leeres Cabrio und versuchte, das Fahrzeug mit einem 2-Euro-Stück in Gang zu bringen. Dann überschlugen sich die Ereignisse –– und Treiber auch.

 

Der Watte-Täter startete voll durch und rammte den Sportwagen des Inspektors, so dass Treiber die Goldplombe aus dem letzten Backenzahn fiel. Dann versetzte der muskelbepackte Ganove dem Scooter-Sheriff, der herbeigeeilt war, einen Blinddarmhaken, schaltete den Turbolader ein und sauste davon.

 

Der Seniorchef des Fuhrparks zog die Notbremse. Alle Lichter gingen aus, und die führerscheinlosen Möchtegern-Hamiltons pfiffen aufgebracht durch ihre Zahnlücken. 

 

Treiber, der lange Sekunden wie eine überrollte Nacktschnecke auf der Rennbahn lag, rappelte sich auf. Wie betrunken schwankte er zu einem senfgelben Scooter, quetschte sich hinein, schloss die Zündung kurz und nahm die Verfolgung auf. Der Autoverleiher zweifelte an seinem Verstand.

 

Die wilde Scooterjagd, die neun gebrannten Mandeln und einem Liebesapfel das Leben kostete, endete beim Kettenkarussell. 

 

Lausig, der sich nach fünf Achterbahn-Touren mit einem Magenbitter gestärkt hatte und jetzt auf einem Karussell-Sitz eine Nickerchen halten wollte, sah, wie der entlaufene Scooter geradewegs auf ihn zuschoss. Geistesgegenwärtig sprang er ab.

 

Der Wagen riss zwei Sitze von den Ketten und bescherte einem japanischen Touristenpärchen einen kostenlosen Rundflug. Mr. Zuckerwatte landete im weichen Sand der benachbarten Ponybahn. 

 

Lausig hatte nur noch Augen für die kunstvoll bestickten australischen Golfstiefel des Giftmischers, die er liebend gern als Beweismittel sichergestellt hätte. Die Spitze des rechten Stiefels traf ihn direkt zwischen die Augen. Doch ehe der böse Bube dem benommenen Kriminalbeamten das Springmesser zwischen die Rippen stoßen konnte, durchschlug eine Kugel die Klinge.

 

Treiber hatte sich an der Schießbude eine Silberbüchse ausgeliehen und gerade im richtigen Augenblick einen Warnschuss abgefeuert. Doch sein Fahrzeug zu stoppen, gelang ihm nicht. 

 

Aufgeschreckt stoben die Mini-Lippizaner auseinander, und auch ein Trompetenstoß des Ponytrainers schaffte es nicht, wieder Ordnung ins Gestüt zu bringen.

 

Als die Irrfahrt des Inspektors wenig später in einem Spiegelkabinett endete, hatte sich der falsche Zuckerbäcker längst in Luft aufgelöst – genauso wie Lassie. 

 

Die enttäuschten Kriminalisten trösteten sich mit Currywurst und Dosenbier – und fanden dann Lassie doch noch – an der Losbude. Die Polizei-Hundedame hatte sich in den Hauptgewinn verliebt – einem riesigen Plüsch-Eisbären, dem sie zu Füßen lag.

 

Drei Monate später stellte sich der Wanderprediger freiwillig der Polizei. Er war stark abgemagert, hatte die Nase voll von seinem Job als Autoscooterwäscher und wollte endlich sein Gewissen erleichtern. Außerdem träumte er von einer warmen Mahlzeit am Tag.